Die Entscheidung zwischen Eigenentwicklung und dem Kauf bestehender Softwarelösungen gehört zu den strategisch wichtigsten Weichenstellungen in der frühen Phase eines Startups. Dabei geht es nicht nur um technische Präferenzen oder kurzfristige Kosten, sondern um fundamentale Fragen der Skalierbarkeit, Differenzierung und Ressourcenbindung. Ob es um ein CRM-System oder eine interne Plattform geht – der richtige Ansatz hängt stark von der individuellen Situation ab. Während der Kauf etablierter Lösungen oft schnelle Ergebnisse ermöglicht, verspricht die Eigenentwicklung maximale Anpassung und langfristige Kontrolle. Doch dieser Weg ist ressourcenintensiv und birgt Risiken.
Kosten, Kontrolle, Komplexität: Die zentralen Faktoren bei der Entscheidungsfindung
Wer vor der Wahl steht, ob eine Softwarelösung selbst entwickelt oder eingekauft werden soll, sollte sich intensiv mit drei übergeordneten Entscheidungsdimensionen auseinandersetzen: Kosten, Kontrolle und Komplexität.
Zunächst zu den Kosten: Die Eigenentwicklung einer Software erfordert beträchtliche Ressourcen. Entwicklerteams müssen finanziert, Infrastruktur aufgebaut und Entwicklungszyklen eingeplant werden. Diese Investition rechnet sich nur, wenn die Software langfristig einen signifikanten Mehrwert liefert oder essenzieller Bestandteil des Geschäftsmodells ist. Dagegen sind gekaufte Lösungen meist sofort einsatzbereit und bringen keine Anfangsinvestitionen im selben Umfang mit sich – allerdings können sich wiederkehrende Lizenzkosten über Jahre hinweg ebenfalls summieren. Auch versteckte Kosten, etwa für Anpassung oder Integration, sollte man nicht unterschätzen.
Im Bereich der Kontrolle bietet Eigenentwicklung klare Vorteile: Man bestimmt, wie Funktionen umgesetzt werden, wie schnell Änderungen erfolgen und welche Sicherheitsstandards eingehalten werden. Gekaufte Softwarelösungen bieten dagegen nur begrenzte Anpassungsmöglichkeiten. Das kann insbesondere bei sensiblen oder geschäftskritischen Prozessen zu Einschränkungen führen, wenn bestimmte Anforderungen nicht abgebildet werden können.
Der dritte Faktor ist die Komplexität. Eine eigene Softwarelösung zu konzipieren, zu testen und über Jahre hinweg zu warten, erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch langfristige Planung und stabile Prozesse. Der Aufwand wächst mit jeder Funktion, jeder Schnittstelle und jeder Benutzerrolle. Wer sich für die Entwicklung entscheidet, übernimmt auch die Verantwortung für alle zukünftigen Anpassungen und Sicherheitsupdates. Gekaufte Lösungen reduzieren diese Komplexität erheblich, verlagern sie aber teilweise auf externe Dienstleister – was wiederum Kontrollverlust bedeuten kann.
Typische Szenarien: Wann Standardlösungen reichen und wann Individualentwicklung sinnvoll wird
Nicht jedes digitale Bedürfnis eines Startups rechtfertigt den Aufwand einer Eigenentwicklung. In vielen Fällen bieten marktübliche Standardlösungen ausreichende Funktionalität zu kalkulierbaren Preisen – und das sofort. Dennoch gibt es bestimmte Konstellationen, in denen eine maßgeschneiderte Lösung deutliche Vorteile bringt.
Typische Szenarien, in denen Standardsoftware vollkommen ausreicht, sind administrative oder allgemein unternehmensnahe Aufgaben. Dazu zählen Projektmanagement, Buchhaltung, Kommunikation oder HR-Prozesse. So kann man beispielsweise eine bestehende Gehaltsabrechnung Software nutzen, die alle steuerrechtlichen Anforderungen erfüllt, mit Schnittstellen zu anderen Tools kommt und regelmäßig aktualisiert wird. Die Entwicklung eines eigenen Tools für diesen Zweck wäre kaum wirtschaftlich, es sei denn, das Startup bietet genau in diesem Bereich innovative Dienstleistungen an.
Standardlösungen punkten auch, wenn man schnell starten und erste Kunden erreichen will. Die Implementierungsdauer ist minimal, die Lernkurve flach, und man profitiert vom Know-how großer Anbieter. In frühen Phasen, in denen sich das Geschäftsmodell noch formen muss, kann diese Flexibilität entscheidend sein.
Anders sieht es bei Individualsoftware aus, wenn das Produkt selbst auf Software basiert oder ein zentraler Wettbewerbsvorteil durch ein digitales System geschaffen werden soll. Wenn etwa das Kundenportal eines Startups einzigartige Funktionen bieten muss, die kein Standardprodukt abbildet, führt an der Eigenentwicklung kaum ein Weg vorbei. Gleiches gilt, wenn bestehende Tools wichtige Schnittstellen oder Logiken nicht unterstützen.
Ein weiteres Szenario für Individualentwicklung ist gegeben, wenn besonders hohe Anforderungen an Datenschutz, Sicherheit oder Performance bestehen. Hier können branchenspezifische Standards oder rechtliche Vorgaben die Nutzung von Fremdlösungen einschränken.
Skalierung und Wartung: Wie sich kurzfristige Entscheidungen langfristig auswirken
Was heute als pragmatische Lösung erscheint, kann morgen zum Wachstumshemmnis werden. Viele Startups wählen zu Beginn einfache, kostengünstige Softwareprodukte, um schnell mit ihren operativen Tätigkeiten starten zu können. Diese Entscheidung mag kurzfristig sinnvoll erscheinen, doch man sollte den langfristigen Einfluss auf Skalierung und Wartbarkeit nicht unterschätzen.
Skalierbarkeit betrifft sowohl die technischen als auch die organisatorischen Aspekte eines Unternehmens. Eine Softwarelösung, die mit fünf Nutzern funktioniert, ist nicht automatisch auch mit 500 oder 5.000 effizient einsetzbar. Standardprodukte stoßen oft an Grenzen, wenn sich Prozesse ändern, Benutzerzahlen stark steigen oder neue Märkte erschlossen werden. Wer bereits früh auf eine flexible, modulare Architektur setzt – ob bei Fremd- oder Eigenlösungen – verschafft sich einen klaren Vorteil im späteren Wachstum.
Gerade bei individuell entwickelter Software kann Skalierbarkeit nur durch sauberes Architekturdesign und vorausschauende Entwicklung gewährleistet werden. Dazu gehören gut dokumentierter Code, automatisierte Tests und klar definierte Schnittstellen. Ohne diese Grundlagen wächst mit jeder neuen Funktion die technische Schuldenlast – und das kann Innovation massiv ausbremsen.
Wartung ist ein weiterer kritischer Punkt. Gekaufte Softwarelösungen bringen regelmäßige Updates, Sicherheitspatches und Supportverträge mit sich. Bei Eigenentwicklungen hingegen trägt man die volle Verantwortung: Jede Anpassung, jedes Bugfixing und jede technologische Weiterentwicklung muss intern gestemmt werden. Fehlt das entsprechende Know-how oder die personellen Ressourcen, kann das zu Engpässen führen – oder im schlimmsten Fall zu Sicherheitsrisiken.
Ein oft übersehener Aspekt ist die Abhängigkeit von einzelnen Entwicklerinnen oder Entwicklern. Verlassen Schlüsselpersonen das Unternehmen, geht wertvolles Wissen verloren, das sich nicht ohne Weiteres ersetzen lässt. Deshalb ist es essenziell, frühzeitig auf dokumentierte Prozesse und teamübergreifende Codeverantwortung zu setzen.
Entscheidung treffen: Ein strukturierter Leitfaden für Startups in der Evaluierungsphase
Damit man fundiert entscheiden kann, ob man eine Software kauft oder selbst entwickelt, empfiehlt sich ein systematischer Ansatz, der sowohl strategische als auch operative Aspekte berücksichtigt. Der folgende Leitfaden hilft dabei, alle relevanten Faktoren in der Evaluierungsphase strukturiert zu durchdenken.
1. Zielklarheit schaffen:
Zunächst sollte man genau definieren, welchen Zweck die Software erfüllen soll. Geht es um ein rein internes Tool zur Unterstützung bestehender Prozesse, oder ist die Lösung Teil des Produkts? Je zentraler die Rolle der Software im Geschäftsmodell, desto höher ist der Anspruch an Kontrolle und Differenzierung.
2. Funktionsumfang spezifizieren:
Ein detailliertes Anforderungsprofil hilft, den tatsächlichen Bedarf zu verstehen. Dabei sollte man zwischen Muss- und Kann-Funktionen unterscheiden. Für viele Anwendungsbereiche kann ein Standardprodukt bereits 90 % der Anforderungen abdecken.
3. Ressourcen und Kompetenzen prüfen:
Hat das Team die notwendigen technischen Fähigkeiten, um eine eigene Lösung zu entwickeln? Gibt es freie Kapazitäten für Wartung und Weiterentwicklung? Wenn nicht, ist ein Kauf oft die realistischere Option.
4. TCO (Total Cost of Ownership) berechnen:
Neben den offensichtlichen Kosten für Lizenzen oder Entwicklung sollte man auch Integrationsaufwand, Schulung, Wartung und zukünftige Anpassungen einkalkulieren. Eine langfristige Betrachtung schützt vor unangenehmen Überraschungen.
5. Skalierbarkeit und Integrationsfähigkeit bewerten:
Passt die Lösung auch in zwei oder drei Jahren noch zur Unternehmensgröße und zur Systemlandschaft? Lässt sie sich mit anderen Tools verknüpfen? Nur wer diese Fragen positiv beantworten kann, trifft eine zukunftssichere Wahl.
6. Sicherheits- und Compliance-Anforderungen prüfen:
Insbesondere in regulierten Branchen oder bei sensiblen Daten ist die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben entscheidend. Man sollte klären, ob eine externe Lösung diese Anforderungen erfüllt oder ob individuelle Entwicklung notwendig ist.